Überblick von NoLager Bremen zur Auseinandersetzung

Hallo,

wie viele von euch wissen (oder gehört haben dürften), ist es während des Hamburger Doppelcamps im August zu einem sehr grundsätzlichen Konflikt anlässlich einer abendlichen Film-Vorführung im Vokü-Bereich gekommen. In dieser Mail findet ihr diverse Materialen zu diesem Konflikt: (1) eine Zusammenfassung der Geschehnisse, (2) eine Protokollnotiz jenes Teils aus dem Camp-Abschlussplenum, bei dem der Konflikt zur Sprache gekommen ist und (3) zwei Texte, welche seitens der beteiligten Gruppen noch während des Camps verfasst wurden.

Grundsätzlich ist diese Mail der mit mehreren Einzelpersonen abgestimmte Versuch (s.u.), eine Antwort auf den Beschluss des Abschlussplenums zu finden, wonach sich alle am Camp beteiligten Gruppen bzw. Einzelpersonen überlegen sollten, wie im Rahmen der Auswertungstreffen mit dem Konflikt weiter zu verfahren wäre.

Herzliche Grüße,

Olaf/NoLager Bremen

1. Kurze Zusammenfassung der Geschehnisse

Ausgangspunkt des Konflikts war ein von zahlreichen Leuten als sexistisch oder zumindest sehr aggressiv empfundener Kurz-Film – konkret hat es sich um einen Anti-G8-Spot gehandelt, allerdings im (satirisch gemeinten) Gewande eines Zombie-Movies. Zentrales Problem: Abgebrochen wurde der Film nicht im Einvernehmen, vielmehr ist es zwischen dem Filmvorführer und zwei Frauen zu einem kurzen Schlagabtausch gekommen – inklusive Handgreiflichkeiten. Im Zuge dieser Auseinandersetzung sind außerdem seitens einiger Campteilnehmer sexistische und homophobe Beleidigungen in Richtung der beiden Frauen ausgestoßen worden – ein Umstand, welcher die Situation vollends hat eskalieren lassen.

Nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als ob im Delegiertenplenum am nächsten Morgen eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung gefunden worden wäre, entpuppte sich dies 2 Tage später als Trugschluss. Denn zwischenzeitlich hatte eine der am Konflikt beteiligten Frauen ihre bereits am Anfang formulierte Forderung bekräftigt, wonach der Filmvorführer – welcher zugleich Aktivist im Vokü-Team ist – das Camp verlassen solle. Dieser Forderung wollte der Filmvorführer nicht nachkommen – mit ausdrücklicher Unterstützung des gesamten Vokü-Teams. Auch ein zwischenzeitlich anberaumtes Klärungsgespräch konnte an der Situation nichts ändern. Stattdessen kündigte die Unterstützungsgruppe der Frau an, den Filmvorführer notfalls gegen seinen Willen vom Camp zu werfen, sollte er dieses nicht freiwillig verlassen.

Spätestens an dieser Stelle dürfte es sinnvoll sein, ein Missverständnis aufzuklären, welches bereits den Konfliktverlauf auf dem Camp nachhaltig bestimmt hat (zumindest nach Einschätzung verschiedener Leute): Bei besagtem Delegiertenplenum gleich nach dem Vorfall hat ein Vertreter der Vokü in Aussicht gestellt, dass der Filmvorführer ggf. bereit wäre, das Camp zu verlassen, sollte dies ausdrücklich gewünscht sein. Diese Aussage ist jedoch in der sicheren Erwartung erfolgt, dass es noch zu einem längeren Klärungsgespräch kommen würde. Demgegenüber ist die Ansage des Voküvertreters seitens der Frauen und ihrer UnterstützerInnen als verbindliche Zusicherung verstanden worden. Entsprechend schien es aus ihrer Sicht nur noch um das ‚Wie‘ bzw. ‚Wann‘ des Weggangs zu gehen, während die Vokü und der Filmvorführer die ganze Zeit auf ein (mit Ergebnisoffenheit geführtes) Klärungsgespräch gewartet haben. Nur vor diesem Hintergrund ist es auch verständlich, weshalb die Vokü in ihrem Papier davon spricht, dass es nicht möglich gewesen wäre, „klärende Gespräche zu führen“ – eine Beschreibung, welche umgekehrt von der Unterstützungsgruppe als „Frechheit“ bezeichnet wird.

Doch zurück zum Geschehensverlauf: Die im Raum stehende Drohung eines Rauswurfs ist der Grund gewesen, weshalb die Vokü am Freitag morgen kollektiv das Camp verlassen und nur noch ein Notprogramm zur Basisversorgung gewährleistet hat. Einerseits sollte auf diese Weise eine weitere Eskalation vermieden werden, andererseits verband die Vokü ihren Weggang mit der Ankündigung, sich baldmöglichst schriftlich zu den Geschehnissen äußern zu wollen.

Wichtig ist, dass die allgemeine Camp-Community erst durch den Weggang des Vokü-Teams davon erfahren hat, dass der Konflikt weiterhin ungeklärt ist – davor hat es lediglich Gerüchte gegeben, mit allen Zutaten, aus denen eine Gerüchteküche halt besteht (siehe unten). Das Problem war in dieser Situation jedoch der fortgeschrittene Zeitpunkt: nämlich der Umstand, dass am Freitag die Flughafen- und am Samstag die Moorburg-Aktion auf dem gemeinsamen Aktionsfahrplan standen. Mit anderen Worten: Es zeichnete sich bereits in dieser Situation ab, dass das Camp als Ganzes wohl nicht vor Sonntag über den Konflikt würde reden können. Wie angekündigt verteilte die Vokü am Samstag einen Flyer, in dem sie die Situation aus ihrer Sicht darstellte. Da die Androhung des Rauswurfes unverändert im Raum stand, hielt sich allerdings der Großteil der Vokü (einschließlich des Filmvorführers) weiterhin nicht auf dem Camp auf.

Beim gut besuchten Abschlussplenum (ca. 150 Leute) am Sonntag ist der Konflikt sodann ausführlich zur Sprache gekommen. Viele haben diese Aussprache als ausgesprochen produktiv empfunden. Denn auch wenn allen Beteiligten klar war, dass ein derartiger Konflikt nicht in einer halben Stunde beigelegt werden könnte, ist es dennoch gelungen, erste gemeinsame Perspektiven bzw. Einschätzungen zu formulieren. In diesem Zusammenhang war es auch wichtig, dass seitens der UnterstützerInnen der Frau ebenfalls eine Darstellung der Situation verlesen wurde – nicht zuletzt als direkte Antwort auf den Text der Vokü. Wichtig war das nicht zuletzt deshalb, weil auf diese Weise erstmalig deutlich wurde, dass es an mehreren der zentralen Punkte durchaus ähnliche Einschätzungen der Situation gibt – unter anderem dahingehend, dass gegen den Filmvorführer überhaupt kein Sexismus-Vorwurf im Raum steht (allerdings wurden auch handfeste Differenzen deutlich, insbesondere was die Zahl und den Charakter der zwischenzeitlichen Klärungsgespräche zwischen Vokü und Leuten aus der Unterstützungsgruppe betrifft: siehe oben).

Doch stop: Vieles spricht dafür, an dieser Stelle auf eine indirekte (und womöglich verzerrende) Darstellung besagter Papiere zu verzichten. Stattdessen seien alle aufgefordert, sich zunächst einmal selber ein Bild von den beiden Papieren zu machen – ihr findet sie deshalb am Ende dieser Mail und hoffentlich auch bald auf den Webseiten des Camps (wie es nämlich im Abschlussplenum vereinbart wurde).

Meines Erachtens ist es wichtig, zunächst diese Darstellungen zu lesen. Denn sie scheinen – jedenfalls in einem ersten Schritt – das angemessenste Mittel zu sein, einigen jener Gerüchte entgegenzutreten, von denen weiter oben die Rede war. So machte nach dem Camp zum Beispiel in einer norddeutschen Stadt das Gerücht die Runde, wonach auf dem Camp ein Film gezeigt worden sei, der mit der Vergewaltigung einer Frau beginne (was nicht stimmt – der Film beginnt damit, dass ein Mann von Zombies verspeist wird), und dass der Filmvorführer sodann, nachdem er von zwei Frauen aufgefordert worden sei, den Film auszuschalten, einer der beiden ins Gesicht geschlagen und dies mit der Ansage verbunden habe: ‚verpisst euch, ihr Scheiß-Lesben, der Film wird jetzt fertig geguckt’. Ich zitiere diese Version der Geschichte nicht, um irgendwelche Personen zu denunzieren (denn aus böser Absicht wird wohl niemand derartige Darstellungen in Umlauf bringen). Nein, ich zitiere das, um deutlich zu machen, welch’ verheerende, ja ruf- bzw. persönlichkeitszerstörende Kraft Gerüchte haben können.

Lese-Pause…

Nachdem ihr inzwischen hoffentlich beide Texte (nochmal) gelesen habt, möchte ich nunmehr zum zweiten Teil meiner Mail kommen, nämlich zu der bereits in der Betreff-Zeile angekündigten Protokollnotiz jenes Abschnitts des Abschlussplenums, in welchem es um den Film-Konflikt gegangen ist. Doch zuvor möchte ich noch kurz erläutern, was mich überhaupt dazu bewogen hat, eine entsprechende Protokollnotiz zu erstellen: Als sich einige Leute aus Hanau, Bremen und Berlin nach dem Camp über die Frage ausgetauscht haben, auf welche Weise der Konflikt weiter besprochen werden könnte, ist die Idee eines Protokolls entstanden. Einfach deshalb, weil uns dies als der vielversprechenste Weg erschien, den konstruktiven Gesprächsfaden des Abschlussplenums wieder aufzunehmen. Und doch: Es dürfte sich von selbst verstehen, dass ein Protokoll immer eine mehr oder weniger subjektiv eingefärbte Angelegenheit ist, zumal ich den entsprechenden Gesprächsabschnitt eher für mich persönlich mitnotiert habe und weniger im Hinblick auf ein später zu schreibendes Protokoll. Ich bitte dies, bei der Lektüre stets im Hinterkopf zu behalten.
2. Protokollnotiz aus dem Abschlussplenum – inklusive ergänzender Kommentierungen (Sonntag, 24.08.)

Vorweg: Am Anfang wurde (wie schon erwähnt) in freier Rede das schriftliche Statement aus dem Unterstützungsumfeld einer der beiden Frauen vorgetragen. Sodann haben sich rund 15 Leute zu Wort gemeldet – insgesamt dauerte dieser Teil etwas mehr als 30 Minuten. Da in den einzelnen Beiträgen meist mehrere Gedanken angeschnitten wurden, habe ich kein Verlaufsprotokoll erstellt, sondern die Beiträge zu Themensträngen gebündelt (und an drei Stellen durch ergänzende Informationen erweitert).

a) Worin bestand überhaupt der Konflikt: Auf der Gerüchteebene erschien es lange so, als ob sich der Konflikt primär um einen sexistischen Vorfall gedreht habe. Dem wurde auf dem Abschlussplenum mehrfach widersprochen. Betont wurde stattdessen, dass der Konflikt aus ganz verschiedenen Facetten bestehen würde: erstens dem Film selbst, zweitens der Auseinandersetzung zwischen dem Filmvorführer und den beiden Frauen, drittens dem Nicht-Verhalten all derer, die den Film zwar auch gesehen, aber nichts unternommen hätten, viertens den sexistischen und homophoben Äußerungen anderer Campteilnehmer und fünftens dem anschließenden Umgang mit dem Konflikt innerhalb des Camps.

b) Zum Film an sich: Es bestand Einigkeit darüber, dass solche Filme nicht in offenen Räumen und ohne Ankündigung gezeigt werden sollten (zur Erläuterung sei nochmal darauf hingewiesen, dass weniger die Bilder als vielmehr die Töne des Films als verletzend empfunden wurden). Demgegenüber wurde nicht näher diskutiert, ob es solche Filme überhaupt geben sollte. In diesem Zusammenhang sei ergänzend auf eine im Rahmen des Abschlussplenums (aus Zeitgründen) nicht erwähnte Information hingewiesen: Der Film wurde in Lyon/Frankreich von Leuten aus einem besetzten Hausprojekt hergestellt. Ein französischer Genosse, der die Produktion des Filmes von Anfang an mitbekommen hat, ist auch in Hamburg auf dem Camp gewesen. Von ihm hatte es eigentlich das Angebot gegeben, kurz von den Hintergründen des Films zu berichten, denn der Film ist im Kontext einer Debatte unter VideoaktivistInnen aus verschiedenen Ländern entstanden. Leider musste er bereits Samstag-Vormittag fahren, deshalb konnte er sich nicht mehr auf dem Abschlussplenum dazu äußern. Auf jeden Fall tat es ihm sehr leid (genauso wie dem bereits während des Camps unterrichten Hauptproduzenten des Films), dass der Film zu derartigen Konsequenzen geführt hätte.

c) Zur Auseinandersetzung zwischen dem Filmvorführer und den beiden Frauen: Vor allem drei Aspekte wurden angemerkt: Erstens gibt es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen, was überhaupt passiert ist – nicht nur seitens der unmittelbar Beteiligten, sondern auch seitens derer, die die Situation miterlebt haben. Einigkeit bestand lediglich darüber, dass alles verdammt schnell ging und dass die Aufforderung der beiden Frauen, den Film abzustellen, recht offensiv vorgetragen wurde. Beides zusammen ist zweitens der Grund, weshalb in mehreren Beiträgen darauf hingewiesen wurde, dass die Auseinandersetzung an sich nichts mit Sexismus zu tun gehabt habe. Sie werfe vielmehr die Frage auf, wie mensch in zugespitzten Situationen überhaupt miteinander umgehen solle. Drittens wurde zweimal darauf hingewiesen, dass der Filmvorführer eigentlich als äußerst umsichtiger Zeitgenosse bekannt und es deshalb äußerst unwahrscheinlich sei, dass er von sich aus (oder gar mit sexistischem Subtext) zugeschlagen habe. Dem wurde zwar nicht direkt widersprochen, es wurde aber darauf hingewiesen, dass unter patriarchalen Umständen niemand vor Sexismus oder ähnlichen Verhaltensweisen gefeit sei. Nicht diskutiert wurde hingegen die diesbezügliche These aus dem Statement der UnterstützerInnen: „Wer schlägt, geht. Egal ob intentionaler Angriff oder affektive Reaktion.“

d) Zum (Nicht-)Verhalten der übrigen Anwesenden: In zwei Beiträgen berichteten Frauen, dass sie zu jenen gehört hätten, die den Film ebenfalls als abstoßend empfunden und dennoch nichts unternommen hätten. Stattdessen seien sie weggegangen bzw. hätten begonnen, sich mit ihren Bank-NachbarInnen zu unterhalten. Besser wäre es hingegen gewesen, aufzustehen und laut und deutlich darauf hinzuweisen, dass gerade etwas schief laufe und der Film sofort abgestellt werden müsse. Diese Botschaft (nämlich dass Zivilcourage auch etwas sei, was Linke selber praktizieren müssten und nicht nur einfordern dürften) sollten sich alle CampteilnehmerInnen hinter die Ohren schreiben – zumindest ist das die Schlussfolgerung der beiden Redebeiträge gewesen.

e) Zu den sexistischen und homophoben Äußerungen: Es bestand Einigkeit darüber, dass derartiges Verhalten auf einem linken Camp nichts zu suchen habe. Dennoch zeige die aktuelle Erfahrung – so eine Stellungsnahme aus dem Queer-Barrio, dass es in dieser Hinsicht andauernden Auseinandersetzungs- bzw. Klärungsbedarf gebe.

f) Zum Umgang mit dem Konflikt auf dem Camp: Dieser Punkt wurde lediglich angerissen und muss sicherlich noch sehr viel ausführlicher besprochen werden. Dennoch ist bereits auf dem Abschlussplenum einiges angemerkt bzw. andiskutiert worden: Zunächst verwies eine Aktivistin darauf, dass sie das Verhalten der Vokü nicht verstehen könne. Schließlich gebe es das Definitionsrecht, und da nun mal eine der involvierten Frauen gefordert habe, dass der Mann das Camp verlassen solle, hätte diesem Wunsch stattgegeben worden müssen. Dieses Statement blieb nicht unwidersprochen: Einerseits wurde darauf hingewiesen, dass es gegen den Mann überhaupt keinen Sexismus-Vorwurf gebe und dass sich deshalb auch nicht auf das im anti-sexistischen Kontext entstandene Defintionsrecht berufen werden könne. Andererseits hieß es, dass das Definitionsrecht in erster Linie ein Navigator sei und insofern die gemeinsame und trotzdem solidarische bzw. geschützte Reflektion keineswegs ausschließe (um z.B. herauszuarbeiten, was an einer Situation verletzend gewesen sei und worin eine angemessene Reaktion bestehen könne). Darüber hinaus wurde kritisiert, dass während des Camps für Außenstehende überhaupt nicht nachvollziehbar gewesen sei, wer seitens der Unterstüzungsgruppe überhaupt angesprochen werden könne. Stattdessen hätte lediglich eine stumme Drohung im Raum gestanden, ohne dass sich die dafür verantwortliche Gruppe in irgendeiner Form legitimiert oder mit den dafür vorgesehenen Entscheidungsgremien des Camps (Deli- oder Gesamtplenum) rückgekoppelt hätte. In zwei Redebeiträgen wurde deshalb gefordert, dass es auf zukünftigen Camps wieder (wie in den vergangenen Jahren) entsprechende Ansprechgruppen oder zumindest für alle verbindliche Vorgehensweisen bedürfe.

In einem etwas anders ausgerichteten Statement wies ein Aktivist darauf hin, dass er solche Konflikte als eine Art „Familienstreit“ begreife und dass deshalb darauf geachtet werden müsse, dass beide „Kinder“ weiterhin Teil der Familie sein könnten. Dies setze voraus, dass sich klar entschuldigt würde, vor allem müsse aber darauf geachtet werden, dass niemand auf seinen bzw. ihren Gefühlen sitzen bleibe. Das Statement stieß zwar auf interessierte Zustimmung, dennoch schüttelten einige Leute irritiert den Kopf. Es sei deshalb ergänzend darauf hingewiesen, dass es der via campesina-Aktivist Victor Nzuzi gewesen ist, der das Statement gemacht hat. Victor kommt aus dem Kongo, also einem Land, in dem seit 1998 über 5 Millionen Menschen einem grausamen (zum Teil von außen angestachelten) Bürgerkrieg zum Opfer gefallen sind. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass Fragen der Wahrheitsfindung und Versöhnung unter solchen Bedingungen völlig anders diskutiert werden (müssen) als bei ‚uns’ in Hamburg – dennoch stellt sich (für mich) die Frage, ob und was wir davon lernen können.
3. Zu den beiden Texten (Vokü und Unterstützungsgruppe)
a) Der Text der Vokü:

Liebe Campteilnehmer_innen,

Wie ihr sicher wahrgenommen habt, haben wir uns heute einen Austag genommen. Aus diesem Grund wurde in der Küche ein Notprogramm eingerichtet. Dieser Austag ist nötig gewesen, da wir mit der momentanen Situation nicht mehr umgehen konnten. Worum geht es eigentlich?

Am Dienstag, den 19.8.2008, wurden abends von der Küche im Küchenbereich des Antira- und Klimacamps relativ spontan einige Filme gezeigt. An diesem unvorbereiteten Filmabend wurde u.a. eine Persiflage auf einen Zombiefilm vorgeführt. In dem Film wurde zuerst ein Mann aufgefressen und danach eine (schreiende) Frau von drei Männern verfolgt und dann ebenfalls aufgefressen. Dieser Film hat Grenzen einiger Teilnehmer_innen verletzt. Zwei Frauen gingen zum Infozelt um von dort Unterstützung für den Abbruch des Films zu holen. Das Infozelt konnte diese Hilfe nicht leisten. Daraufhin gingen die Frauen direkt zur Vorführung, um den Film zu beenden. Aus Sicht der Küchengruppe war diese Intervention richtig und gut. Es war ein Fehler, den Film in diesem Rahmen und ohne Einleitung und/oder Diskussionsmöglichkeiten zu zeigen. Wir bitten hierfür nochmals um Entschuldigung. Die Küchengruppe akzeptiert und respektiert auch die Art der Intervention, auch wenn sich einige eine andere Form von Intervention gewünscht hätten.

Im Zuge ,der Intervention, die lautstark und sehr emotional vonstatten ging, hat es zuerst eine kurze verbale Auseinandersetzung gegeben. Bevor eine Beruhigung der Situation, Verständnis füreinander und eine gemeinsame Klärung der Situation möglich wurde, ist sie eskaliert und einer der Filmvorführer hat Wein ins Gesicht und die Augen bekommen. Da die ganze Sache sehr schnell vonstatten ging, hatte er die Situation nicht wirklich erfasst. In einer affektiven Angstreaktion versuchte er, ohne etwas zu sehen, sich mit einer ausladenden Armbewegung Raum zu verschaffen, um sich zu schützen. Dabei wurde eine der Frauen getroffen. Die Filmvorführung wurde nun sofort von dem Filmvorführer beendet. Es fand kein weiterer Kontakt zwischen dem Fi1mvorführer und den betroffenen Frauen statt, da der Filmvorführer sich zurückzog, weil er das Gefühl hatte, damit die Situation zu deeskalieren.
Aus der frisch gebildeten Menschenmenge, die in verschiedenen Gruppen diskutierte, wurden unter anderem Rechtfertigungsforderungen sowie sexistische Attacken gegenüber den bei den Frauen geäußert.
Diese Aussprüche empfinden wir als Küche sehr schrecklich.

Dies ist die Situation, wie sie sich uns als Küchengruppe darstellt. Uns wurde mitgeteilt, dass die im Zuge der Armbewegung getroffene Frau dies als Faustschlag ins Gesicht wahrgenommen hat, Wir respektieren, dass die Wahrnehmung der beiden Frauen sowie deren Unterstützer_innen eine andere ist.
Daran gibt es aus unserer Sicht nichts zu deuten oder in Frage zu stellen. Es sind zwei berechtigte Wahrnehmungen, die sich gegenüber stehen. Trotzdem ist es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um- einen gezielten, intentionalen Angriff gehandelt hat. Es war eine affektive Reaktion auf eine tumultartige Situation.

Unmittelbar nach dem Ereignis fanden innerhalb der Küchengruppe Diskussionen statt. Wir entschieden uns dazu, offensiv mit der Situation umzugehen und, die Kommunikation zu suchen. Daher wurde das Ereignis von uns auf das Deli-Plenum getragen. Es bildete sich eine Mittler_innengruppe um diese Problemkonstellation aufzulösen. Wir – die Küchengruppe – versuchten mit der Unterstützer_innengruppe der beiden Frauen in Kontakt zu treten, um einen Umgang mit der Situation zu finden. Jedoch war es bisher nicht möglich, klärende Gespräche zu führen, da dies von den Frauen und der Unterstützer_innengruppe nicht gewünscht wird. Es wurde aber die Forderung der betroffenen Frau an uns herangetragen, dass der Filmvorführer das Camp verlassen soll. Dies wird nicht mit einem Sexismusvorwurf begründet, sondern mit dem Vorwurf, eine der Frauen geschlagen zu haben. Aus unserer Sicht ist das ein wichtiger Punkt, auch weil die Unterstützer_innengruppe geäußert hat, dass sie keine Stigmatisierung des Menschen als Sexist möchte. Dennoch möchte die Betroffene nicht gleichzeitig mit ihm auf dem Camp sein. Weitere Versuche mit Mediation sind ebenfalls gescheitert.

Wir haben uns intensiv mit dieser Forderung auseinander gesetzt. Wir wollen, dass ein Schutzraum für die Betroffene gewährleistet ist und respektieren diesen Wunsch ausdrücklich. Gleichzeitig suchen wir eine Lösung durch Kommunikation und nicht durch Ausgrenzung oder Rausschmiss. Wir wollen uns mit sexistischem und gewalttätigem Verhalten in unserem Campalltag auseinandersetzen und befürchten, dass mit einem Rausschmiss dieses Thema abgehakt wird. Wir haben Sorge, dass mit einem Ausschluss die notwendige Auseinandersetzung mit Gewalt und Sexismus in unserem Alltag nicht vorangetrieben wird. Ein Verlassen des Camps würde eine Stigmatisierung der Person und der Küche mit sich bringen und hätte wahrscheinlich auch den Ausschluss der betreffenden Person aus weiteren Zusammenhängen zur Folge. Da mittlerweile viele z.T. wilde Gerüchte über das Ereignis auf dem Camp kursieren, würde ein Verlassen des Camps unserer Ansicht nach als Bestätigung von Gerüchten wahrgenommen. Das sind Konsequenzen, die unserer Meinung nach dem Ereignis nicht angemessen sind.

Aus diesen Gründe haben wir uns entschieden, nicht auf die Forderung einzugehen, dass der Filmvorführer alleine das Camp verlässt. Wir möchten einen Weg finden, der sowohl den nötigen Schutzraum für die Betroffenen gewährleistet als auch uns als Vokü weiterhin ermöglicht, das Camp zu versorgen und auch darüber hinaus in politischen Zusammenhängen unserer Arbeit gemeinsam zu machen. Wir als Vokü begreifen uns als einen Teil des Camps und möchten, dass die Küche als sozialer Raum und für eine Auseinandersetzung bestehen bleibt. Wir wollen aber als Vokü auch keine strukturelle Gewalt ausüben und unsere Position ausnutzen.

Darum möchten wir folgende Vorschläge an die Betroffenen machen:
I. Die Voku wird als räumlich begrenzter Bereich vom Rest des Camps abgetrennt. Der Filmvorführer wird sich nur in diesem Bereich aufhalten.
II. Wenn dieser .:Vorschlag nicht angenommen werden kann, wäre eine andere Möglichkeit für uns, die Vokü auf den Parkplatz zu verlegen. Auch da gilt, dass der Filmvorführer den Vokübereich nicht verlassen wird.
III. Wenn keine der beiden Vorschläge für die Betroffenen akzeptabel ist, bitten wir das Camp und die Unterstützer_innengruppe um konstruktive Lösungsvorschläge, um die Versorgung des Camps zu gewährleisten.

Wir möchten noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir das Schutzraumbedürfnis der Betroffenen akzeptieren und respektieren.
Wir sind als Vokü nicht auf dem Camp, weil Drohungen laut wurden, dass einer von uns vom Camp entfernt wird. Wir glauben nicht, dass mit Gewaltandrohungen Probleme dieser Art gelöst werden können.

In der Hoffnung auf eine gemeinsamen und beiderseitig akzeptablen Lösung der Situation,

Eure Vokügruppe

 

b) Der Text der UnterstützerInnen-Gruppe:

Liebe Camper_innen,

wir beziehen uns hiermit auf die Stellungnahme der Vokü vom 23.08.08 zu dem Vorfall vom Dienstag, 19.08., im Rahmen der Filmvorführung.

Wir sind aus dem Umfeld der betroffenen Frau und wollen unsere Sicht der Ereignisse veröffentlichen.

Zuerst möchten wir sagen, dass wir es ausdrücklich begrüßen, dass sich die Vokü schriftlich zu dem Vorfall geäußert hat. Wir finden es gut, dass sie sich für die Filmvorführung entschuldigt haben und das Eingreifen grundsätzlich akzeptieren.

Trotzdem wollen wir die Situation auch aus unserer Sicht darstellen, da wir einen anderen Umgang miteinander in unseren Strukturen erwarten.

Der gezeigte Film überschreitet unserer Meinung nach nicht nur Grenzen von von Gewalt betroffenen Frauen, sondern auch von Personen die Folter erlebt haben und/oder von Gewalt traumatisiert sind.
Wir fragen uns natürlich, warum solche Filme in linken Strukturen überhaupt gedreht werden und welche Intention dahinter steht, aber in einer öffentlichen Situation, wie auf dem Camp, kann solch ein Film auch nach Einleitung nicht gezeigt werden.

Im Zuge der Intervention an diesem Abend durch die beiden Frauen kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, die im nachhinein nicht mehr genau zu rekonstruieren ist. Fakt ist, es gibt zwei unterschiedliche Beschreibungen des Beginns:
Bestritten wird nicht, dass eine der beiden Frauen ihm Wein ins Gesicht geschüttet hat, allerdings erst nach der Aufforderung den Film abzustellen, was er nicht wollte. Die beschriebene spontane „Abwehrreaktion“, die die andere traf, wurde von ihr als gezielter Schlag wahrgenommen. Zumal er anschließend äußerte, sie müsse sich über diese Reaktion nicht wundern.
Aufgrund dessen fordert sie, dass der Filmvorführer das Camp verlassen muss.
Es ist uns wichtig nochmal zu betonen, dass es uns nie darum ging, ihn aus linken Strukturen zu verbannen, noch darum ihn als Sexist zu stigmatisieren, sondern um den Raum für die Frau, die geschlagen wurde, zu erhalten.
Wer schlägt, geht. Egal ob intentionaler Angriff oder affektive Reaktion.
Dies wurde von ihm bereits auf dem Deli-plenum am Mittwoch, 20.08 zugesagt. Wir fragen uns, warum dies bis jetzt nicht geschehen ist?

Gelinde gesagt, empfinden wir es als Frechheit zu behaupten, es habe keine Gespräche gegeben. Entgegen der Darstellung von der Vokü, gab es mehrere Gespräche zwischen uns (der Unterstützer_innen- gruppe) und Personen aus der Vokü, da uns sehr wohl an einer konstruktiven Auseinandersetzung und einer Lösung gelegen ist. die betroffene selbst wollte sich nicht mit dem Mann oder der Vokü auseinandersetzen.

Zu der Stellungnahme haben wir allerdings noch einige Fragen:
Wieso bekunden sie, dass ein Schutzraum für die Betroffene gewährleistet sein soll, kommen dem aber nicht nach?
Wieso kann eine Auseinandersetzung mit Gewalt und Sexismus im Alltag nicht voran getrieben werden, wenn eine Person das Camp verlässt?
Wieso verlässt die gesamte Vokü das Camp, nur weil Einer aufgefordert ist zu gehen?
Und wieso denken sie, dass nur wenn die Person bleibt, die Gerüchte weniger werden?

Erschreckt an dem Vorfall, hat uns nicht nur die gewalttätige Auseinandersetzungsebene, sondern auch die Reaktionen aus dem Publikum. Homophobe Beschimpfungen wie „dämliche Lesben verpisst euch“ dulden wir nicht in unseren Strukturen. Wir sind entsetzt über die dahinter stehende Grundeinstellung und das nicht eingreifen der Umstehenden. Dazu fordern wir eine grundsätzliche Auseinandersetzung!
Uns ist klar, das diese nicht mehr auf dem Camp stattfinden kann, für eine zukünftige Zusammenarbeit von linken Gruppen ist sie unerlässlich.
Was uns seit Jahren nervt ist, dass sich die Betroffene immer rechtfertigen soll und muss und das Relativieren der Tat. Dadurch wird sie immer wieder mit der Situation konfrontiert.

Wir hoffen, dass endlich mal ein Mann die Konsequenz aus seinem Tun trägt und nicht er oder sein Umfeld sich als Opfer hinstellt!